Grenzüberschreitungen
Grenzenlos
und unausschöpfbar erscheint die Bildwelt von Pierre Vogel wie in ihren
Sujets so in den Techniken und im Stil seiner Handschrift. Wer nur eine
seiner Schaffensphasen kennt, würde ihm schwerlich alle die anderen
zuordnen. Einige der Radierungen, durch die ich den Genfer Künstler1965 in Göttingen
kennenlernte, sind mir noch deutlich erinnerlich: feingestrichelte
Innenansichten der Natur, mineralogische Aufschlüsse und Gewebe
physiologischen Lebens, die aber surreale Eigenexistenz gewannen durch
skurrile Deformationen und phantastische
Inskriptionen.
Als ich ihn wiederfand, eingangs der neunziger Jahre
in Genf, entstand eine Serie von unvergleichlichen Fensterdurchbllcken
- rationalistische Rahmenschau einerseits, doch auch
ein romantisch-symbolisches Sprengen der Rahmen, ein Mitreissen
ins Ungebahnte, Landschaften der Seele. In der nachfolgenden Phase
eher geometrisch-architektonischer Konstruktion scheint mir neben
der intellektuellen Bewältigung das eruptive Element noch
hervorspringender: Dreiecke schafft es um zu Vulkanen und treibt
Höllenfeuer aus Grashängen hervor.
Spielerisch gebändigte ernste Scherze scheinen mir
die jüngste Phase zu dominieren. In der heiteren Equilibrierung
der Lebensreife tritt uns dieses Welt-Spiel heute entgegen. Wie schon in
den graphischen Gegenlesungen naturhafter Stoffe aus den frühen
sechziger Jahren erblicke ich darin jenes grenzüberschreitende Möglichkeitsdenken
unermüdet, das dem Augenschein unserer «besten der möglichen Welten» stets
neue Alternativen gegenüberstellt: schönere oder abstrusere,
schreckvollere, doch auch versöhnlichere.
Hans-Jürgen
Schrader |